Wednesday, January 30, 2013

Die jungen „Wilden“ erobern das Stillleben

Bei dem Gedanken an die Gattung „Stillleben“ kommen mir Früchte, totes Wildbret auf einem Silbertablett, verstaubte alten Vasen auf dem Dachboden oder farblich in Altrosé getauchte Blumensträuße in den Sinn. Alles künstlerisch wertvoll auf einem Tisch angeordnet und vom Künstler in einer technischen Meisterleistung klassisch und der Natur getreu auf die Leinwand gebracht. Hier und da gibt es interessante Details zu entdecken, und über die Symbolischen Bedeutung wird es sogar spannend. Doch die inhaltliche Wiederholung der abgebildeten Objekte wirkt mitunter emüdent auf den Betrachter und irgendwann ist das nächste Stillleben „nur“ noch schön anzuschauen.

 

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Jan Davidz de Heem, Stillleben mit Dessert, 1604.
Öl auf Leinwand, 149 x 203 cm.
Musée du Louvre, Paris.

 

Als Ausgangspunkt jeder akademisch-künstlerischen Ausbildung zur Erlangung technischer Perfektion steht das Stillleben – es werden Proportionen, Perspektiven, Lichtverhältnisse und Oberflächenstrukturen studiert und auf der Leinwand wiedergegeben. Für gewöhnlich erlaubt gerade das so klassische Stillleben keinen Raum für „Kreativität“, und dennoch erfuhr diese Gattung spätestens seit Paul Cézanne (1839-1906) ihre Emanzipation und wird zur Quelle der Inspiration und Variation. Dem Künstler gelang es, in der freien Konzeption des Stilllebens die eigene künstlerische Wahrheit zu finden. In der bewussten Vernachlässigung von Perspektive, Proportion und Oberflächenstruktur zeigt sich nicht nur eine Umformulierung der Ausdrucksformen, es gelang den jungen „Wilden“, allen voran Matisse, auch, einen Skandal in der Kunstgeschichte auszulösen. Die Auflösung der Objekte in Flächen und die autonome Verwendung der Farbe stellte ihre Neuinterpretation der klassischen Gattungen dar. Die Künstler um die vorige Jahrhundertwende waren auf der Suche nach einer ihnen eigenen Wahrheit der Malerei, die sie mitunter auch in der Darstellung einer Obstschale auf dem Tisch fanden.

 

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Henri Matisse, Früchte und Bronze, 1910.
Öl auf Leinwand, 91 x 118,3 cm.
Staatliches Museum für Bildende Künst A. S. Puschkin, Moskau.

 

Finden Sie die Werke des jungen, „wilden“ Matisse noch bis zum 17. März 2013 im Metropolitan Museum of Art in New York in der Ausstellung Matisse – In Search of True Painting und begleiten Sie ihn auf der Suche nach der wahren Malerei. Alternativ und zum Nachschlagen bietet der Verlag Parkstone International mit dem Titel Stillleben oder Meisterwerke der Blumenmalerei, beide von Victoria Charles, einen Überblick über die Geschichte des Stilllebens.

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