Tuesday, November 6, 2012

Seelisches Fernweh – Van Gogh und der Japonismus

Es ist kein Geheimnis, dass Vincent van Gogh (1853-1890) nicht in der besten psychischen Verfassung war, jahrelang führte er einen inneren Kampf gegen sich selbst, litt unter Depressionen und Wahnvorstellungen und wurde in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. In diesen Zeiten der Qual und teilweise nahe dem Wahnsinn, schuf er einige seiner größten Meisterwerke. Höchst verwunderlich ist darüber hinaus, dass er sich in den 1890er Jahren ausgerechnet einen Künstler zum Vorbild nahm, der gegenteiliger nicht hätte sein können: der im heutigen Tokio geborene gelernte Holzschnittkünstler Utagawa Hiroshige (1797-1858), dessen Kunst wie die traditionelle japanische Kunst im Allgemeinen auf Ruhe, Stärke und inneren Frieden basieren. War van Goghs Faszination für die japanische Kunst vielleicht gleichzeitig ein Versuch, sich selbst zu heilen?

Fest steht, dass van Goghs aufkeimendes Interesse an Hiroshiges Arbeiten zeitlich mit einem schweren Schicksalsschlag zusammen fällt: Obwohl das Verhältnis zwischen ihm und seinem Vater nicht immer einfach gewesen sein soll, traf es den Künstler doch sehr, als sein Vater im Frühjahr 1885 nach einem Schlaganfall starb. Vermutlich hat er im selben Jahr Arbeiten Hiroshiges bei einem Besuch des Rijksmuseums in Amsterdam studiert.


Hiroshige, Plum Estate, Kameido; aus Einhundert berühmte Ansichten von Edo, 1857.
33,7 x 21,9 cm.
The Brooklyn Museum, Brooklyn.



Vincent van Gogh, Japonaiserie: Blühender Pflaumenbaum (nach Hiroshige), 1887.
Öl auf Leinwand, 55 x 46 cm.
Van Gogh Museum, Amsterdam.


Hiroshige erlernte während seiner Lehrzeit bei Utagawa Toyohiro (1773-1828) die Grundtechniken der traditionellen japanischen Malerei und Druckgrafik. Die Ausbildung beschränkte sich zunächst auf das Nachzeichnen der Arbeiten seines Lehrers und anderer bekannter Holzschnittmeister. Als Hiroshige jedoch nach dem Tod von Utagawa Toyohiro seine Reise zum kaiserlichen Palast in zahlreichen Zeichnungen festhält, nach denen er in den Jahren 1833 und 1834 seine Farbholzschnittsammlung 53 Stationen des Tokaido anfertigte, revolutionierte er den japanischen Holzschnitt: Zum ersten Mal waren das alltägliche Leben, die geschäftigen Straßen und das einfache Volk dargestellt und zum künstlerischen Bildmotiv erhoben.

Ähnlich wie Hiroshige eignete sich van Gogh die Grundlagen des japanischen Stils durch Uki-e, das heißt durch Nachzeichnen seines Vorbildes an. Während er zunächst einzelne Arbeiten und Motive Hiroshiges kopierte, lässt sich der Einfluss nach 1887 in nahezu allen seinen Arbeiten nachweisen.


Vincent van Gogh, Der rote Weingarten in Arles, 1888.
Öl auf Leinwand, 75 x 93 cm.
The Pushkin State Museum of Fine Arts, Moskau.


Wie sehr Hiroshige van Goghs Kunst beeinflusst hat, können Sie am Besten beim direkten Vergleich der Arbeiten beider Künstler entdecken. Hierzu bietet sich bis zum 17. März 2013 der Besuch der Pinacothèque de Paris an: Unter dem Titel Van Gogh et le Japonisme werden dort zum Einen 40 Werke van Goghs präsentiert, zum Anderen gibt es eine zeitgleich stattfindende Ausstellung zu Hiroshige.

Den Einfluss Hiroshigos auf van Gogh können Sie aber auch sehr gut mit den im Verlag Parkstone International erschienenen Titeln van Gogh und Hiroshige: a hundred views of Edo von zu Hause aus entdecken.

http://www.pinacotheque.com/?id=801

 

-C.Schmidt

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